Montag, Januar 29, 2007

Zweiter UnterstuetzerInnen-Kreis-Brief

Liebe UnterstuetzerInnen,

Nun bin ich seit bereits einigen Tagen von meinem ersten Einsatz auf Bondoc zurueckgekehrt, musste mich aber zuerst von den Strapazen der Rueckreise und dann von einer kleinen Grippe erholen – so ein Klimawechsel zwischen Deutschland und den Philippinen, den heissen Tagen in Manila und den kuehlen Naechten in den Bergen Bondocs, hat es eben in sich.

Es war eine aufregende Zeit mit den Menschen auf der Halbinsel und ein sehr guter erster Eindruck, den ich vom Leben der KMBP[1]-Bauern gewinnen konnte.

Im Allgemeinen ist die Armut, vor allem nach den beiden Taifunen Milenyo und Reming (Durian)[2], sehr groß. Die meisten der einfachen Bambushütten wurden stark beschädigt, viele sogar vollkommen zerstört. Größere Sorgen bereitet den Bauern aber, dass ihre Kokospalmen, die Haupteinnahmequelle[3], so stark beschädigt sind, dass sie bis zu drei Jahre Zeit benötigen, um sich zu erholen und wieder ausreichende Erträge hervorzubringen. Hilfsgüter von der Regierung sind nur in sehr geringem Maß bei den Bauern angekommen – hier eine Tüte Gemüsesamen, dort ein Kilosack Reis. Ohne die Unterstützung durch ihre Politiker-Patrone in dieser Notsituation wissen viele Bauern nicht wie sie die kommenden Jahre überleben sollen, „wir haben weder Geld für Schulen, noch für Ärzte“, erklärt eine Bäuerin in
§Mayantok (San Andres) warum sie mit ihrer Familie nach Manila gehen will. Da sie auch ihre Abgaben an den Großgrundbesitzer ohne eigene Ernte nicht leisten können bedeutet diese „Flucht“ in die Stadt für viele Bauern auch Sicherheit vor den Strafanzeigen der Landbesitzer.

In den vergangenen Jahren scheint es sich bei den Landlords als effektives Mittel der Schikane gegenüber den Bauern etabliert zu haben, die Bauern wegen Kokosnussdiebstahls anzuzeigen. Ursprünglich haben alle Bauern als Pächter mit einem Abgabesystem gelebt. Meist mussten sie 70 Prozent jeder Ernte an den Landbesitzer abgeben und haben als „Gegenleistung“ den Boden zur Verfügung gestellt bekommen. Seitdem die Bauern durch das CARP-Gesetz[4] die Möglichkeit haben ihr eigenes Stück Land zu besitzen, boykottieren sie auf verschiedene Weisen diese illegalen Abgaben. Solange die Besitzverhältnisse nicht durch eine Landklassifizierung und Ausstellung von Landtiteln durch die beiden zuständigen Ministerien (DAR und DENR[5]) geklärt sind, verweigern die Bauern Abgaben an die Landlords, zahlen nur den vom DAR vorgeschriebenen maximalen Abgabensatz von 25 Prozent – oder aber sie werden so unter Druck gesetzt, dass sie weiterhin die Abgaben in voller Höhe leisten.
Egal welches Abgabensystem: Die Landlords verklagen ihre Pächter auf Kokosnussdiebstahl, selbst wenn diese ihre Abgaben in voller Höhe leisten. Damit wollen sie bezwecken, dass die Bauern ihre Landreform-Anträge zurückziehen oder zumindest die Vergabe der Landtitel verzögert wird.

Bei meinen Interviews mit Bauern in den Orten Arumahan, Danao, Balig-ang, Mayantok, Libas und Lomboy haben viele davon erzählt, wie sie von den Landlords angezeigt werden. In vielen Fällen wird ihnen kein Haftbefehl vorgelegt und sie werden ohne Vorwarnung verhaftet. In einem Fall in Balig-ang erfolgten die Festnahmen nicht etwa durch die Polizei, sondern durch die Goons[6] des Landbesitzers, der zugleich auch Bürgermeister der Gemeinde San Narciso ist. In einem anderen Fall in Arumahan erschienen vergangenes Jahr 20 Polizisten, 15 Soldaten und 25 Goons, um die beiden Leiter derörtlichen KMBP-Gruppe wegen Kokosnussdiebstahls festzunehmen, ebenfalls ohne Vorwarnung. In den oft überbelegten Gefängnissen warten die Bauern – Männer und Frauen – häufig ohne Schlafmöglichkeit und ohne ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln darauf, dass ihre Kaution bezahlt wird. Bei einer ersten Anzeige beträgt die meist um die 30 000 Peso (500 Euro), ein Vermögen für die Kokosbauern. „Wiederholungstäter“ müssen horrende Summen von rund 100 000 Peso aufbringen. In Manila gibt es die Agrarian Justice Foundation Inc. (AJF), die oft mit der Kaution aushilft.

Trotz dieser Schikanen verlieren die meisten Bauern nicht den Mut weiterhin auf friedlichem Weg um ihr Land zu kämpfen. Andres Leonardo[7], Bauernführer aus Sitio Libas, hat zum Beispiel die Goons des Großgrundbesitzer Manuel Uy angezeigt, nachdem sie ihm Morddrohungen gemacht. Da seine beiden Amtsvorgänger bereits ermordet[8] wurden, hat Leonardo diese Drohung ernstgenommen und die Goons angezeigt, seit Ende vergangenen Jahres sitzen die zehn Männer nun bereits in Untersuchungshaft. Zwei Gerichtstermine wurden bereits angesetzt, mussten aber vertagt werden, weil Leonardo ohne Anwalt erschien. Die dritte Verhandlung ist nun für den zwölften Februar in San Narciso geplant – sollte Leonardo wieder keinen Anwalt haben[9], wird die Anklage fallengelassen und die Goons kommen frei. Für Leonardo würde das eine enorme Bedrohung seines Lebens bedeuten.
Um die Verhandlung zu beobachten und ihr Ergebnis verstehen zu können werde ich zusammen mit einem anderen IPON-Menschenrechtsbeobachter bei dem Gerichtstermin dabei sein. Wir hoffen durch unsere Präsenz auch ein neutrales Verfahren zu bewirken, denn laut Aussage der Bauern und der NGO QUARDDS in Lucena stehen auch die Richter der Region auf der Gehaltsliste der Landlords.

Ich könnte an dieser Stelle noch viele weitere für uns fast unvorstellbare Fälle von Menschenrechtsverletzungen und auch Verletzungen des philippinischen Rechts aus der Region Bondocs aufführen. Viel erschreckender als die einzelnen Fälle jedoch war für mich die Erkenntnis wie sehr die Allmacht der Landbesitzer zum Alltag der Bauern gehört, wie öffentlich Rechtsbruch begangen wird und wie normal Gewalt, Drohungen, Schikanen und Unterdrückung auf Bondoc sind – so alltäglich ist dieses Unrecht, dass es vielen Bauern schon gar nicht mehr als erwähnenswert auffällt.

Schwierigkeiten, die ich bei dieser ersten Reise hatte, waren eigentlich nur kommunikativer Natur, denn auf dieser ersten Fahrt stand mir noch kein Übersetzer zur Seite. In den ersten Tagen musste die Verständigung mit den Bauern daher mit Händen und Füßen klappen – meine Tagalogkenntnisse haben sich aber rapide verbessert, so dass zumindest Grundlegendes gut besprochen werden konnte.
Meine Sicherheit war nie in Gefahr, bis auf die schwierigen Wanderungen auf den völlig aufgeweichten Lehmböden in den Bergen habe ich keine Bedrohungen empfunden. Lediglich die Nacht in Sitio Centro, der Hochburg von Goons und NPAs[10], hat ein beklemmendes Gefühl hinterlassen. Als es dunkel wurde haben meine Gastgeber die gesamte Hütte mit Brettern verrammelt, damit niemand unbemerkt eindringen kann. Am frühen Morgen habe ich in der Umgebung Schüsse gehört. Zwei Tage nach meiner Rückkehr nach Lucena kam es in der Nachbar-Gemeinde Buenavista zu einem größeren Gefecht zwischen Militär und NPA, bei dem sechs Guerillas getötet wurden.

Auf die Internetseite http://www.menschenrechtebondoc.blogspot.com/ habe ich viele Photos von den Landschaften und Menschen Bondocs gestellt und dazu meist einige genauere Informationen geschrieben – wer mag kann also immer wieder mal einen Blick darauf werfen.

Ich bin weiterhin unter meiner Handynummer (0063) (0) 927 229 228 1 erreichbar wenn ich in Manila oder Lucena bin, da ich aber auf Bondoc selbst keinen Empfang mit diesem Provider hatte, werde ich dort künftig die Nummer (0063) (0) 928 306 179 0 nutzen.
[1] Kilusang Magbubukid ng Bondoc Peninsula, die Bauernvereinigung der Bondoc-Halbinsel, die von den Menschenrechtsbeobachtern IPONs begleitet wird.
[2] Die Taifune trafen Ende des vergangenen Jahres auf die Halbinsel, für die meisten Haushalte hat es keine Vorwarnung gegeben. Die größten Schäden sind in den Küstenregionen zu finden, aber auch in den Bergen hat es viele Erdrutsche gegeben. Die Stromversorgung der Halbinsel ist bis heute nicht wieder hergestellt.
[3] Auf Bondoc sind hauptsächlich Kokosnuss-Monokulturen zu finden. Vor allem das weiterverarbeitete Kokosfleisch, Copra, wird gehandelt. Daraus werden in der Veredelung Öle zum Beispiel für die Produktion von Seifen gewonnen.
[4] Comprehenive Agrarian Reform Program, das Agrarreform-Programm schreibt eine Obergrenze des Landbesitzes vor. Großgrundbesitzer müssen weite Teile ihrer Ländereien an die Pächter abgeben, letztere können maximal drei Hektar große Parzellen Land besitzen.
[5] Das DAR, Department of Agrarian Reform, ist für die Vergabe von Landtiteln für Agrarland zuständig während das DENR, Department of Environment and Natural Resources, öffentliches sowie Wald- und Weiderland bearbeitet.
[6] Paramilitärische Gruppen, die von den Landbesitzern angeheuert und ausgebildet werden, um im rechtfreien Raum Bondocs den Willen des Großgrundbesitzers durchzusetzen.
[7] Name geändern
[8] 1998 wurde der Bauernführer Edwin Bendor von den Paramilitärs des Großgrundbesitzers Manuel Uy erschossen, fünf Jahre später wurde Bendors Amtsnachfolger von NPA-Guerillas erschossen. In beiden Fällen wurden die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen bzw. kamen ohne Prozess und für eine Kaution in Höhe von 40 000 Peso frei.
[9] Viele Bauern können sich die Kosten für einen Anwalt nicht leisten. Die Organisation QUARDDS in Lucena kann ihnen jedoch mit freiwillig arbeitenden Anwälten aushelfen, diese sind aber völlig überlastet. QUARDDS hat Leonardo eine Zusage gemacht, dass zu seinem Gerichtstermin ein Anwalt erscheinen wird.
[10] Die New People’s Army, eine kommunistische Guerilla-Gruppe auf den Philippinen, kämpft in ihrem Streben nach Revolution sowohl gegen die Großgrundbesitzer (mit denen sie dennoch vielfach kurzsichtig zusammenarbeitet) als auch gegen jene Bauern, die einen Antrag auf die CARP-Reform gestellt haben.